"Wahnsinn oder Laufen aus Leidenschaft"

Persönlicher Erlebnisbericht vom 100 km-Ultramarathon an der Zugspitze

Grainau/Bilkheim. Am Samstag, den 21.06.14 fand im idyllischen Zugspitzdorf Grainau der SALOMON ZUGSPITZ ULTRATRAIL statt. Läufer aus 46 Nationen gingen an den Start, einer davon war ich. Rund um Deutschlands höchsten Berg, mussten wir Läufer 100 Kilometer und 5420 Höhenmeter in maximal 25 Stunden zurücklegen.
„Soweit die Füße tragen“, „Wahnsinn“ oder „Laufen aus Leidenschaft“? Wie soll man es nennen, wenn man sich dazu entschließt, 100 Kilometer am Stück, unter diesen Bedingungen zu laufen. Ich nenne es nicht verrückt, nein. Ich nenne es eher eine Chance neue Grenzerfahrungen und das Gefühl erleben, Unmögliches möglich zu machen. Dies  hat mich letztendlich dazu bewogen, mich einer solchen Herausforderung zu stellen.
Trotz meiner Erfahrung im Ausdauersport, hatte ich erheblichen Respekt vor dieser Aufgabe, war ich bisher längstens 50 km am Stück gelaufen und das  im Januar in Rodgau/Hessen. Diesen Respekt brauchte ich aber auch, wie sich später im Rennen zeigte. Ich hatte ein klares Ziel vor Augen und das hieß vor allem finishen, aber wer mich kennt weiß, eine passable Zeit  sollte es auch werden.
In einer intensiven, 14-wöchigen Vorbereitung absolvierte ich auf den Höhen des Westerwaldes und dem Rheinsteig 1500 Laufkilometer, mit 25000 Höhenmeter sowie Laufumfänge mit teils über 200 Kilometer pro Woche. Damit sollte ich für den Wettkampf an Deutschlands höchstem Berg gut aufgestellt sein. Einzige Unbekannte war die Qualität der Höhenmeter und was die doch „mäßigen“ Steigungen des Rheinlandes wert waren.

Die Anreise erfolgte bereits 2 Tage vor dem Wettkampf, so dass ich mich mit der Umgebung und Teilstrecken des Rennens noch etwas vertraut machen konnte. Zusammen mit meiner Familie, bezog ich mein Quartier, mit einem herrlichen Ausblick aufs Gebirge.

Bereits freitags holte ich mir im Kurpark, unweit vom Start des Rennens, meine Wettkampfunterlagen. Viele der „Trailrunninggemeinde“ waren bereits vor Ort und man hatte das Gefühl alle kennen sich hier. Es war aber nicht so, dass ich niemanden kannte, denn Westerwälder trifft man überall. Auf dem Weg zum Kurpark traf ich Oliver Fender aus Nomborn mit seiner Familie.

Oliver, als erfahrener Ultraläufer bekannt, war es, der mich bei meiner Entscheidung hier an den Start zu gehen, positiv beeinflusste und mir wertvolle Tipps für die Vorbereitung und das Rennen gab. Vielen Dank dafür Oliver.
Samstagmorgen, endlich war es soweit. Der Check-in begann 45 Minuten vor dem Start, dem sich jeder Teilnehmer unterziehen musste. Wegen der typischen Gefahren im Gebirge, waren alle Teilnehmer verpflichtet, einen Laufrucksack mit einer Pflichtausrüstung mitnehmen, wozu u. a. eine Notfallausrüstung wie Rettungsdecke und Erste-Hilfe-Set, ausreichende Flüssigkeit, warme und regendichte Bekleidung, Handy mit eingespeicherter Notfallnummer, aber auch eine Stirnlampe zählte. Das nicht einhalten dieses Reglements führte zur sofortigen Disqualifikation. Mein Rucksack hatte ein Gewicht von 4,5 Kilogramm. Gewicht, dass ich mir bereits im Vorfeld mühsam abtrainiert hatte.
Der Startschuss dieses außergewöhnlichen Langstreckenrennens fiel bereits morgens um 07.15 Uhr. Es erfolgte ein neutralisierten Start, ähnlich einem Formel 1-Rennen bei dem das Führungsfahrzeug nicht überholt werden darf. Nur war es hier kein Führungsfahrzeug, sondern eine Musikkapelle, die musizierend vor dem Feld her marschierte und nach ca. 200 Meter das Rennen freigab.
Auf einer landschaftlich reizvollen Strecke, rund um die Zugspitze, durch das Wettersteingebirge, sollte uns Läufern auf schwierigen Trails alles abverlangt werden. Die fantastische Kulisse entschädigte uns aber für die enormen Anstrengungen, das kann ich an dieser Stelle schon mal sagen.
Vom Beginn des Rennens, versuchte ich ein kontrolliertes Tempo zu laufen, immer mit dem Gedanken, dass das Rennen nicht auf den ersten 50 Kilometer entschieden wird.
Bereits nach 2 Kilometern sah ich erstmals meine Familie am Wegrand stehen und dieses Mal nahm ich mir, wie so oft von meiner Frau vorgehalten, die Zeit um nochmal alle in den Arm zu nehmen, bevor es weiter ging. Auf extremen Anstiegen über Skipisten und Geröllfelder, mussten mehrere Berggipfel erklommen werden, die es wahrlich in sich hatten. Bereits nach 10 Kilometer musste ich meine mitgeführten Trekkingstöcke zum Einsatz bringen. Die Stöcke behielt ich die nächsten 90 Kilometer bis ins Ziel in meinen Händen, denn sie unterstützten nicht nur das Bergauflaufen, sondern trugen vor allem zum sicheren Bergablaufen bei.

Ich achtete während des gesamten Rennens ganz penibel auf die Ernährung, die ausschließlich aus ebenfalls mitgeführten Kohlenhydratgels und Wasser bestand, da ich wusste, dass die Eigenverpflegung der Schlüssel zum erfolgreichen Finish ist. Dennoch bekam ich schon bei Kilometer 43 meinen ersten Krampfansatz am linken Oberschenkel und dachte, „das fängt ja schon früh an“. Ich hatte mir für diese Fälle erstmals Salztabletten mitgenommen (so viel zum Austesten von Ernährung im Training) und nahm von da an, alle halbe Stunde eine Tablette, womit ich nicht nur diesen Krampf, sondern mehrere andere Krämpfe abwenden konnte.

Auch wenn es schwer zu glauben ist, das Rennen machte mir von Beginn bis zum Ende richtig Spaß. Ich hatte das gesamte Rennen über das Gefühl, schneller laufen zu können, was ein gutes Zeichen war. Hatte ich im Vorfeld, doch eher Respekt vor den Steigungen, waren es aber eher die Abstiege, die anstrengender und vor allem gefährlicher waren. Durch den Regen am Vortag, waren die kleinen Wege sehr matschig und vor allem durch die nassen Steine sehr rutschig. So war es auch, dass ich bergauf immer wieder andere Läufer überholen konnte, musste diesen aber bergab Platz machen, um ihnen ein gefahrloses Überholen zu ermöglichen. Die Gefahr eines möglichen Sturzes, dafür war mir der Einsatz zu hoch. Dennoch merkte ich im letzten Drittel des Rennens, dass ich ganz gut unterwegs war.

Aufkommende Euphorie bremste ich aber direkt, wusste ich doch, dass bis ins Ziel noch so viel passieren kann und war der Respekt vor einem möglichen Aus doch zu hoch. Vor allem war da ja noch der letzte Schlussanstieg bei Kilometer 80. Von Reintal (810 m Höhe) ging es nochmal 12 Kilometer hinauf zur Bergstation Alpspitzbahn, in einer Höhe von über 2000 Meter. Dass ich mir die Kräfte im Rennen gut eingeteilt hatte, merkte ich nun, denn ich kam den letzten Berg gut hinauf und konnte mich um einige Plätze verbessern.

Bei der letzten Verpflegungsstation, bei Kilometer 94, als ich wusste, dass nichts mehr schief gehen kann, telefonierte ich mit meiner Frau, um ihr mitzuteilen, dass ich auf dem Weg ins Ziel bin. Auf den letzten Kilometer bergab realisierte ich erstmals, wie schnell ich heute wirklich unterwegs war. Nun kam Freude auf und da waren sie wieder die Glücksgefühle, die viele meiner sportlichen Wegbegleiter kennen und denen ich an dieser Stelle fürs Daumendrücken oder für die „Begleitung“ am Liveticker danke sage. Auch allen anderen möchte ich danken, die zuhause an mich gedacht haben und keine Zweifel an meinem Finish, so hoffe ich, haben aufkommen lassen. Die letzen 6 Kilometer bergab lies ich es dann aber nochmal so richtig krachen. Unterstützt wurde ich dabei, als bekennender Schlagerfan, von Helene Fischer und Andrea Berg im Ohr, die mich bestens und gut gelaunt in den Zielbereich trugen. Dort wurde ich freudestrahlend von meiner Familie empfangen. Gemeinsam mit meinen beiden Kindern Anna und Jakob überquerte ich überglücklich und passend zum Anpfiff des Spiels Deutschland gegen Ghana, die Ziellinie.

Im Ziel blieb die Uhr bei einer tollen Zeit von 13:49:29 Stunden stehen, womit ich unter den fast 700 Startern den 30. Gesamtplatz belegte.

Das Rennen hat mir einmal mehr gezeigt, dass man mit Disziplin sowie einem festen Ziel vor Augen vieles erreichen kann und man dies auch auf den Alltag übertragen kann.
Ich bin der festen Überzeugung es war nicht „Wahnsinn“, sondern es ist „Leidenschaft“. Welche Grenzerfahrungen ich in Zukunft überschreiten will, weiß ich jetzt noch nicht. Interessante Ziele gibt es da aber schon noch.

Impressionen



[Zurück]